Widerruf bei nachträglicher Verurteilung
Widerruf bei nachträglicher Verurteilung
Der Widerruf bei nachträglicher Verurteilung greift, wenn das Gericht einer Person eine Strafe, einen Strafteil oder die Unterbringung in einer Anstalt für entwöhnungsbedürftige Rechtsbrecher bedingt nachsieht und später eine weitere Tat bekannt wird, die bereits vor dieser Entscheidung begangen wurde.
In diesem Fall prüft das Gericht, ob es die Nachsicht auch ausgesprochen hätte, wenn alle Taten gleichzeitig bekannt gewesen wären.
Ergibt sich, dass die frühere Entscheidung zu milde war, widerruft das Gericht die Nachsicht und vollzieht die Strafe oder Maßnahme.
So stellt das Gesetz sicher, dass eine günstige Prognose nur dann bestehen bleibt, wenn sie auf vollständigen und zutreffenden Grundlagen beruht.
Das Gericht widerruft eine bedingte Nachsicht, wenn eine nachträgliche Verurteilung zeigt, dass es die Nachsicht bei gemeinsamer Aburteilung nicht gewährt hätte.
Hintergrund und Zweck
§ 55 StGB soll verhindern, dass Verurteilte durch die zeitliche Abfolge mehrerer Verfahren begünstigt werden.
Wenn jemand nach einer ersten bedingten Verurteilung später wegen einer weiteren, schon früher begangenen Tat verurteilt wird, prüft das Gericht, ob es bei gleichzeitiger Beurteilung beider Taten ebenfalls eine Nachsicht ausgesprochen hätte.
So wird eine einheitliche Strafzumessung gewährleistet und eine ungewollte Doppelbegünstigung ausgeschlossen.
Voraussetzungen des Widerrufs
Ein Widerruf nach § 55 Abs. 1 StGB erfolgt, wenn folgende Voraussetzungen erfüllt sind:
- Nachträgliche Verurteilung gemäß § 31 StGB
Es liegt eine weitere gerichtliche Entscheidung über eine bereits zuvor begangene Tat vor. - Hypothetische Gesamtprüfung
Das Gericht muss feststellen, ob bei gemeinsamer Aburteilung beider Taten eine bedingte Nachsicht ausgesprochen worden wäre. - Erforderlichkeit des Widerrufs
Die neue Verurteilung zeigt, dass die frühere positive Prognose unzutreffend war und eine weitere Nachsicht nicht mehr vertretbar ist.
Die Prüfung orientiert sich insbesondere an folgenden Kriterien:
- Schwere und Art der neuen Tat
- zeitlicher Abstand zur ersten Verurteilung
- Gesamtverhalten des Betroffenen
- Bewährungseignung im Lichte der neuen Erkenntnisse
Sebastian RiedlmairHarlander & Partner Rechtsanwälte „Eine nachträgliche Verurteilung zwingt das Gericht, die frühere Milde neu zu bewerten. Strafnachsicht darf nur bestehen bleiben, wenn sie auch bei vollständiger Tatsachenkenntnis gerechtfertigt wäre.“
Nachträgliche Strafnachsicht
§ 55 Abs. 2 StGB regelt auch den umgekehrten Fall.
Wenn das Gericht bei einer neuen Verurteilung eine Strafe bedingt nachsieht, prüft es, ob diese Nachsicht bestehen bleiben darf.
Ergibt die Bewertung, dass bei gemeinsamer Aburteilung keine Nachsicht ausgesprochen worden wäre, widerruft das Gericht die Entscheidung.
Hat es von der früheren Verurteilung keine Kenntnis gehabt, holt es diese Beurteilung nach und stellt sicher, dass niemand doppelt von mildernden Umständen profitiert, nur weil die Verfahren zeitlich getrennt geführt wurden.
Zusammenrechnung der Probezeiten
Bestehen mehrere bedingte Nachsichten gleichzeitig, laufen die Probezeiten nach § 55 Abs. 3 StGB zusammen.
Alle Probezeiten enden mit der zuletzt ablaufenden, dürfen jedoch insgesamt höchstens fünf Jahre dauern. Dadurch bleibt die Kontrolle zeitlich begrenzt, während eine sachgerechte Beobachtung des Verhaltens gewährleistet ist.
Gerichtliche Entscheidungspraxis
In der Praxis betrifft § 55 StGB häufig Fälle, in denen eine bereits vor der ersten Verurteilung begangene Tat erst später entdeckt wird.
Praktische Relevanz und Einordnung
§ 55 StGB gewährleistet eine einheitliche Behandlung aller Verurteilten, unabhängig davon, wann und in welcher Reihenfolge ihre Taten bekannt werden.
Er korrigiert Fehleinschätzungen und stellt sicher, dass bedingte Nachsichten nur auf einer vollständigen Tatsachengrundlage bestehen bleiben.
Der Widerruf ist keine zusätzliche Strafe, sondern ein rechtlich gebotener Ausgleich, wenn sich die ursprüngliche Prognose als unzutreffend erweist.
Für Betroffene bedeutet das, dass eine spätere Verurteilung auch Auswirkungen auf frühere Strafnachsichten haben kann, sofern sich daraus eine geänderte Gesamtwürdigung ergib
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Peter HarlanderHarlander & Partner Rechtsanwälte „Machen Sie keine inhaltlichen Aussagen ohne vorherige Rücksprache mit Ihrer Verteidigung. Sie haben jederzeit das Recht zu schweigen und eine Anwältin oder einen Anwalt beizuziehen. Dieses Recht gilt bereits bei der ersten polizeilichen Kontaktaufnahme. Erst nach Akteneinsicht lässt sich klären, ob und welche Einlassung sinnvoll ist.“